Wie versteht der Mensch überhaupt Sprache? Ein Ausflug in Sprachpsychologie und Buddhismus
Essay: Welcher neue Akzent wird durch die
pragmatische Komponente gesetzt? Erläutern Sie kurz ein Beispiel!
Jeder, der Haustiere hat, weiß: auch
Tiere können sprechen. Trotzdem hat der Mensch die Sprache in einer Art perfektioniert, wie es wohl kein Tier bisher getan hat. Als sich zur gesprochenen Sprache schließlich die Schrift gesellte,
war der technologische und kulturelle Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Mit dem Buchdruck und den damit möglichen Massenmedien war ein weiterer Meilenstein erreicht und der Fortschritt wurde
erneut beschleunigt. Heutzutage stecken wir wieder in einer Umbruchszeit: was Internet und neuronale Netze mit der Sprache und ihrer Funktion machen werden, ist nicht
absehbar.
Die Sprachpsychologie hat intensiv die
Frage untersucht: Wie versteht der Mensch überhaupt Sprache? Dabei hat sie verschiedene Verständnisebenen identifiziert: die phonetische bzw. graphemische Ebene, die lexikalische Ebene, die
semantische Ebene, die syntaktische Ebene und die pragmatische Ebene. Sprache kann in Phoneme (Lauteinheiten) zerlegt werden (phonetische Ebene). Sie besteht aus verschiedenen Wortarten
(lexikalische Ebene). Diese Wörter haben eine Bedeutung (semantische Ebene). Die mit Wörtern gebildeten Sätze unterliegen Sprachregeln (Grammatik, syntaktische Ebene). Und doch reichen diese
Ebenen nicht aus, um zu erklären, wie der Mensch Sprache (so schnell) versteht. Auch nicht, wenn man annimmt, dass diese Ebenen nicht nacheinander (seriell) durchlaufen werden, sondern
miteinander in ständiger Wechselwirkung stehen.
Und da kommt die pragmatische Komponente
ins Spiel. Sie sagt nicht nur, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, sondern auch dass der Kontext die wichtigste Bedeutung hat, wenn es darum geht, Sprache zu verstehen. Auf die
Frage: „Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“ wird niemand antworten: „Ja.“ und es dabei belassen. Unser Wissen, um den anderen und seine Bedürfnisse, wird den Satz übersetzen in „Sag mir
bitte, wie spät es ist!“ und wir werden angemessen darauf reagieren. Wir erkennen an der Art und Weise wie gesprochen wird, was gemeint ist und können sogar auf das Gegenteil des Gesagten
schließen (z. B. Ironie). Wir registrieren nicht nur, was gesagt wird, sondern auch was nicht gesagt wird. Wir beziehen unser Wissen über die Welt im Allgemeinen und den Sprecher im Speziellen
mit ein im Verstehensprozess. Das ist ein so komplexer Vorgang, dass er wohl nie vollständig beschrieben werden kann. Was die Psychologie meines Erachtens bisher außer Acht gelassen hat, ist der
nonverbale Kontext des Sprachverstehens, den Rupert Sheldrake mit „morphogenitischem Feld“ beschreibt. Stehen sich zwei Lebewesen sehr nahe, kommunizieren sie auf einer tieferen Ebene miteinander
als verbal und (herkömmlich) nonverbal. Sheldrake machte dazu Experimente mit Hundebesitzern. Die Haustiere erkannten, wenn sich das Herrchen auf den Heimweg machte und warteten vor der Tür,
obwohl es dafür sonst keine Anhaltspunkte gab. Sheldrake wird bis heute von der „akademischen“ Wissenschaft ignoriert. Dabei könnte sein Ansatz zusammen mit dem von C. G. Jung des „kollektiven
Unterbewussten“ entscheidende Fortschritte bringen, wenn es um Modelle geht, die Sprachverstehen erklären wollen/sollen. Aber die Wissenschaft scheut sich, solche Modelle in ihren Diskurs mit
einzubeziehen.
Es gibt einen alten Streit zwischen
„Semantikern“ und „Syntaktikern“, welche Komponente für das Sprachverstehen bzw. sogar -erlernen wichtiger ist. Wolf Schneider hat die zentrale Bedeutung des Prädikates herausgearbeitet in seiner
Stillehre „Deutsch für Kenner“. Verben sind für ihn die „Königswörter“. Sie machen einen Text lebendig
und dynamisch. Vom Prädikat machen wir alles abhängig – die Lust am Lesen und die Einfachheit des Verstehens. „Lisa brennt darauf, heute Abend tanzen zu gehen.“ ist ein anderer Satz als „Lisa hat
großes Interesse, heute Abend an der Tanzveranstaltung teilzunehmen.“ Das liegt an der Dynamik der verwendeten Verben sowie an dem Abstraktionslevel der verwendeten Wörter. Wer Lust hat, seinen
Schreibstil zu verbessern, dem sei dieses Buch sehr ans Herz gelegt. Es ist nicht nur lehrreich, sondern auch lustig und pointiert.
Jedenfalls kommt dem Prädikat eine
besondere Rolle zu. Es verbindet die Satzteile und macht einen Satz erst zu eben jenem und damit verständlich. Insofern haben die Semantiker schlechte Karten. Aber die besten Karten haben die
Pragmatiker, die auf einer ganzheitlichen Ebene das Sprachgeschehen betrachten als es auf seiner molekularen Ebene zu untersuchen. Die allerbesten Karten hätten freilich die Esoteriker, wenn das
kolletkive Unterbewusstsein und morphogenetische Felder mit einbezogen werden würden.
Die Pragmatiker haben für das richtige
Sprechen (und Schreiben) Regeln aufgestellt (nach Grice, 1975):
-
Maxime der Quantität: Sag soviel
wie notwendig, aber (bloß) nicht mehr! -
Maxime der Qualität: Sag die
Wahrheit und nicht Dinge, an die Du selbst nicht glaubst -
Maxime der Relevanz: Sag nur
Dinge, die relevant für die Zielstellung der Kommunikation sind! -
Maxime der Art und Weise: Sei
klar in deinen Äußerungen!
Im Buddhismus gibt es das Ideal der
„rechten Rede“, welches einer von acht Pfaden ist, das Leid des Lebens zu überwinden und Erwachen zu erreichen. Die vier unheilsamen (also „unrechten“) Arten der Rede lauten: Lügen, Zwietracht
säen, verletzende Worte und sinnloses Gerede.
Die Lüge ist negativ formuliert und
entspricht der zweiten Maxime: Sag die Wahrheit (bzw. das was du für sie hältst)! Das sinnlose Gerede zu vermeiden – dieser Punkt nimmt bei Grice gleich drei Maximen ein: die erste, die dritte
und die vierte. Es scheint ihm also wichtig gewesen zu sein, seine Zeit und die Zeit der anderen nicht zu vergeuden. Wohingegen er die Punkte: Zwietrach säen und verletzende Worte zu vermeiden
gar nicht berücksichtigt hat in seinen Maximen. Es ist unwahrscheinlich, dass er das als selbstverständlich annahm, gehören doch „Klatsch und Tratsch“ und „Lästern“ zur alltäglichen Lebenswelt
eines jeden von uns. Man könnte annehmen, Grice’ Schwerpunkt lag auf der „Verständlichkeit“ der Rede, nicht auf ihrer „Heilsamkeit“, aber dann wäre die zweite Maxime (Sag die Wahrheit!) nicht
notwendig. Verständlich kann auch eine Lüge sein. Was meint ihr: war Buddha 2.500 Jahre vor Christus weiser als Grice 4.500 Jahre danach?
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Ich lebe also ganz nach dem Motto: „Wer will, findet Wege – wer nicht will, findet Ausreden!“ Und ich will das Paradies auf Erden. Nichts weniger.
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Wenn du mir widersprechen willst, bin ich auch dankbar für einen Kommentar. (Was die Hater in diesem „Neuland“ Internet noch nicht kapiert haben, ist, dass sie mit ihrem Hass, die
Aufmerksamkeit anderer auf genau die Dinge richten, die sie doch hassen – traurig…)